Ein Schnitt für's Leben
Anfang August wird der Herbst von der Schnitterin begrüßt, die mit ihrer Sichel durch das Land zieht und in die Fülle schneidet, die im Sommer gewachsen ist.
Denn der Herbst lehrt uns die Qualität der Ältesten: Die Energie zieht sich aus der Materie zurück, vom TUN des Sommers kommen wir ins SEIN des Herbstes.
Immer wieder taucht dieser Satz von Astrid Lindgren in mir auf, der mich seit Jahresbeginn begleitet:
„Und dann braucht man ja auch noch die Zeit, einfach nur da zu sitzen und vor sich hin zu schauen.“
Dazu das Bild in mir: Die Alte, die im Schaukelstuhl vor ihrem Haus sitzt und zufrieden und gelassen in den Garten blickt, alles annehmend, was dort ist.
Wenn es Richtung Tod geht, wird klar, dass wir nichts mitnehmen können: „Wer nicht stirbt, eh‘ er stirbt, der verdirbt, wenn er stirbt.“ (Bruder Klaus, Schweizer Mystiker) Wagst du es, in die Fülle zu schneiden? Zu ernten statt verderben zu lassen? Gehen zu lassen und zu vertrauen?
Neben dem Materiellen löst sich auch Subtileres auf: unser Selbstbild, das uns daran hindert, ganz wir selbst zu sein.
Kennst du auch die frechen Ältesten? Die kein Blatt vor den Mund nehmen und wahrhaftig und auch unbequem und vielleicht ein bisschen eigensinnig sind?
Darin liegen wohl die größte Freiheit und die tiefste Verbundenheit. Echter Kontakt mit mir selbst und dem Leben wird möglich, wenn mein Handeln nicht dieses Bild nähren muss, sondern meinen tieferen inneren Impulsen entspringt.
Mich hat das Leben in dieses Jahr im Übergang vom Sommer zum Herbst eingeladen, zu wählen, was wirklich wichtig ist. Ganz klare Prioritäten zu setzen und vieles einfach ziehen zu lassen. Denn mehr wäre sich einfach nicht ausgegangen!
Ganz im Hier und Jetzt sein. Ganz mit den Kindern sein. Ganz mich dem hingeben, was in diesem Augenblick dran ist. Mich vom Einen zum Nächsten hangeln. Die Kontrolle loslassen. Vertrauen.
Ich bin sicher, hier war die Schnitterin am Werk…
Dabei hat auch ein Teil meines Selbstbilds begonnen zu bröckeln: mich mit dem Wirken in meiner Selbstständigkeit zu identifizieren. Was bleibt, wenn dafür plötzlich kein Raum ist, keine Zeit? Wenn ich keine Angebote aushecken kann, keinen Newsletter aussende?
Wie gut, das zu erleben! Und zu erkennen: Da bleibe ich, Nicola, ohne den Druck etwas leisten zu müssen. Und doch mit all meinen Fähigkeiten und Talenten, die ich in jedem Moment einbringen kann.
Und staunend beobachte ich mich, kann immer feiner erkennen, in welchen Situationen ich mich anspanne, um zu genügen, zu entsprechen. Was dahinter wohl für eine Welt liegt?
Nun legt sich langsam der aufgewirbelte Staub nach diesem not-wendigen Schneiden:
Was bleibt stehen? Was wird geerntet und darf genossen oder für den Winter (in meinem Herzen) bewahrt werden? Was verrottet am Boden, um fruchtbarer Nährboden zu werden? Und in welche Richtungen treiben nach dem Schnitt ganz neue Triebe aus?
Der September bringt Veränderung mit sich und das kraftvolle Herbst-Lied fegt schon durch meinen Kopf:
„Heya ho, der Herbst kommt heran, heya ho, was der alles kann, heya ho, wer hätte das gedacht, was der Herbst, was der Herbst so macht!“
„Ich ehre, dass aus dem Alten das Neue wächst.“
Das ist meine diesjährige heilsame Essenz aus dem Rituellen Frauenfestival WOMEN IN THE WOODS, die mich mit meinem Roten Band in diesem Jahr begleiten wird.
Im Kontext mit der Qualität der Schnitterin kommen mir dazu Gedanken und Bilder:
Dank des Schneidens für das Leben darf nun neues Leben aus dem Alten hinauswachsen und seine Ausrichtung finden.
Ich schneide nicht mehr den ganzen Baum um, um Platz für das Neue zu schaffen. Ich erkenne, dass das Alte auch nährendes und schützendes Gefäß für das Neue sein kann. Der klare Schnitt gibt dem Neuen Raum und erhält die Verbindung zur Wurzel, zur Erde.
Ich bin neugierig, in welcher Form meine Herzensanliegen neu austreiben werden. Jedenfalls mag ich dem Wachsen Zeit geben und mich über den Winter um meine Wurzel-Kraft kümmern.
Singen, Lebendigkeit & Lebensfreude, Verbindung mit der Erde, Heilkraft der Pflanzen, Geschenk-Sein.
Vieles bewegt sich in mir und ich lade die Kraft des Wassers ein, weiter zu bewegen, was mit mir im Fluss des Lebens treibt:
Die kommende Zeit widme ich dem Erkunden neue Dimensionen des Heilsamen Singens und der Kraft der Stimme. Ich lerne die Methoden und Wirkungsweisen der Gesangstherapie kennen und ich bin neugierig darauf, wie sich das mit meinem persönlichen Weg der Körperarbeit verbinden wird. Parallel zum Lehrgang werde ich im kommenden Jahr Übungsgruppen und Workshops zu dieser Arbeit mit der Stimme anbieten.
Gleichzeitig habe ich das Singen im Kreis in diesem Sommer auf einer neuen Ebene erlebt: Bei meinem Singkreis zu den Erdfesttagen und beim diesjährigen WOMEN IN THE WOODS wurde mir ganz tief bewusst, dass ich nicht nur für die Lebensfreude zum Singen einlade, sondern auch für die Erde und alle Lebewesen singe! Das Singen hat sich verwoben mit geomantischer Heilarbeit und ich habe wirklich tief erlebt, dass die Musik sowohl uns Menschen als auch der Erde Heilung schenken kann.
Das Ritual der Medizinwanderung bzw. des Schwellengangs begleitet mich nun schon viele Jahre und ist Medizin für mich, die ich mit anderen teilen mag. Ich liebe es, den Raum für diese ganz sinnliche und magische Naturzeit zu öffnen und das Spiegeln der Geschichten zu begleiten.
Und in meiner Kräuterküche brodelt es schon – bald gibt’s wieder Schätze aus den Geschenken der Pflanzen.
Soweit meine Ernte zu diesem Zeitpunkt. Mal sehen, was die kraftvollen Herbststürme damit vorhaben! Aho :)